Du hast nicht versagt. Du hast nur nie entschieden.
In meiner Arbeit mit Paaren erlebe ich es immer wieder: Da sitzen zwei Menschen, die sich lieben – und sich trotzdem fremd geworden sind. Was ist passiert?
Oft sind es nicht die großen Dramen. Sondern die kleinen Entscheidungen, die nie wirklich getroffen wurden. Wer bleibt beim Kind? Wer übernimmt was im Alltag? Was wird erwartet – und was nie ausgesprochen?
Viele Paare rutschen in klassische Rollenbilder, ohne sie bewusst gewählt zu haben. Und genau darin liegt das Problem: Was sich zunächst wie eine praktische Lösung anfühlt, wird zur schleichenden Entfremdung.
In diesem Artikel zeige ich dir,
- warum Rollenbilder so stark wirken
- wie du erkennst, ob ihr in unbewusste Muster geraten seid
- und wie ihr als Paar wieder echte Entscheidungen trefft
Rollen geben Orientierung – aber keine Erlaubnis zum Selbstverlust
Rollen sind per se nichts Schlechtes. Sie geben Struktur und helfen uns, Alltag zu organisieren: die Rolle der Mutter, des Vaters, des Versorgers, der Bezugsperson. Sie können Sicherheit geben – wenn sie zu uns passen.
Problematisch wird es dann, wenn wir in Rollen verharren, die sich nie gut angefühlt haben. Wenn aus dem „Ich übernehme das gern“ ein „Ich muss das wohl machen“ wird.
Besonders häufig geschieht das nach der Geburt eines Kindes. Viele Paare haben vorab kaum darüber gesprochen, wie sie sich die gemeinsame Elternzeit vorstellen. Und plötzlich ist man in einem Konstrukt, das man selbst nie bewusst erschaffen hat – sondern einfach übernommen hat.
Ein Beispiel aus der Praxis: Wenn das eigene Leben auf Pause steht
Lisa und Tom sind seit mehreren Jahren ein Paar, als sie beschließen, ein Kind zu bekommen. Es ist ein gemeinsamer Wunsch. Doch als Lisa schwanger wird, stellt sich die Rollenverteilung fast automatisch ein: Lisa bleibt zu Hause, Tom arbeitet weiter.
Keiner der beiden stellt es infrage. Tom verdient mehr. Und „ein Baby braucht doch seine Mama“.
In den ersten Monaten ist Lisa glücklich, aber auch erschöpft. Der neue Alltag besteht aus Stillen, Windeln, Haushalt. Tom ist abends müde. Gespräche über ihre Gefühle? Fehlanzeige. Lisa merkt, wie sie sich selbst verliert – in der Rolle der Mutter, die alles richtig machen will. Und gleichzeitig schämt sie sich, denn sie „hat es sich ja so ausgesucht“.
Doch bei genauerem Hinsehen stimmt das nicht. Es wurde nie wirklich besprochen. Beide sind schlicht in die nächstliegende Rolle geschlüpft – weil sie dachten, das müsse so sein.
Warum Rollenbilder so tief sitzen
Unsere Vorstellungen davon, wie Familie funktioniert, stammen oft nicht aus Überzeugung – sondern aus unserer eigenen Kindheit.
Vielleicht hast du gesehen, dass deine Mutter zu Hause war, dein Vater das Geld verdient hat. Vielleicht war sie „immer da“ – und gleichzeitig oft erschöpft. Vielleicht war er „verantwortlich“ – aber emotional schwer erreichbar.
Auch gesellschaftliche Bilder wirken weiter: die liebevolle, immer verfügbare Mutter. Der starke, verlässliche Vater. Diese Vorstellungen sitzen tief – selbst bei Paaren, die sich eigentlich Gleichberechtigung wünschen.
Wie ihr erkennt, dass es Zeit für neue Entscheidungen ist
Wenn eure Beziehung sich verändert hat – wenn ihr euch nicht mehr auf Augenhöhe fühlt oder einer von euch immer wieder zurücksteckt – dann lohnt es sich, genauer hinzuschauen.
Fragen, die euch helfen können:
- Welche Aufgaben, Erwartungen und Rollen habe ich aktuell übernommen?
- Wie fühle ich mich damit – ehrlich?
- Gab es je ein Gespräch darüber – oder hat sich alles einfach so ergeben?
- Welche Vorstellungen und Muster bringe ich aus meiner Herkunftsfamilie mit?
- Was wünsche ich mir stattdessen – und wie kann ich das kommunizieren?
Diese Fragen eröffnen einen Raum. Und manchmal reicht schon ein erstes offenes Gespräch, um festzustellen: Wir haben etwas übernommen, das gar nicht zu uns passt.
Wenn du beginnst, dich selbst wieder zu hören
Die Familientherapeutin Virginia Satir sagte:
„Du musst aus der Rolle fallen, um aus der Falle zu rollen.“
Und genau das ist der Punkt.
Denn wer immer nur funktioniert, wer nur gibt, was man erwartet, verliert irgendwann den Kontakt zu sich selbst. Und wenn dieser Kontakt verloren geht, wird auch die Verbindung zum Gegenüber brüchig.
Beziehung braucht Bewusstsein.
Nicht, um perfekt zu sein – sondern um authentisch zu bleiben.
Fazit: Deine Rolle darf sich verändern – genauso wie du
In einer lebendigen, gleichberechtigten Partnerschaft gibt es kein festes Drehbuch.
Was heute passt, darf morgen neu besprochen werden.
Was gestern stimmig war, darf heute nicht mehr reichen.
💡 Rollen dürfen sich verändern.
💡 Es ist erlaubt, neue Wege zu finden.
💡 Und es ist mutig, laut zu sagen: „So wie es ist, passt es nicht mehr.“
Denn echte Nähe entsteht dort, wo zwei Menschen einander zuhören – und sich erlauben, zu wachsen.
Du möchtest deine Rolle hinterfragen – und neu gestalten?
Wenn du merkst, dass du nicht mehr in der Rolle lebst, die zu dir passt, begleite ich dich oder euch gern in einem Gespräch.
In meiner Beratung gehen wir gemeinsam den ersten Schritt – raus aus dem Automatismus, rein in bewusste Gestaltung.