Autistisch? Immer wieder begegnen uns Kinder, die im privaten oder beruflichen Kontext irgendwie „anders“ wirken. Doch woran machen wir das fest? Sind sie lauter? Überschreiten sie Grenzen? Vielleicht trifft es am besten die Aussage: Sie halten sich nicht an unsere gesellschaftlichen Gepflogenheiten.
Und? Was soll’s?
Mit dieser Meinung gehöre ich eher zu einer Minderheit. Denn in unserer Gesellschaft wird oft schnell diagnostiziert, wenn ein Kind anders ist.
Der schnelle Griff zur Diagnose
Sobald ein Kind durch sein Verhalten auffällt – sei es emotional, sozial oder durch andere Eigenarten – kommen plötzlich Begriffe wie ADHS oder Autismus ins Spiel. Eltern sind häufig überrumpelt, wenn sie mit diesen Diagnosen konfrontiert werden. Sie fragen sich: „Mein Kind soll krank sein? Das kann doch nicht sein!“
Doch vielleicht ist das gar nicht so. Es lohnt sich, innezuhalten und genauer hinzusehen.
Auffälligkeiten als Ausdruck menschlicher Vielfalt sehen
Kinder zeigen eine große Vielfalt an Verhaltensweisen, und wir Erwachsenen neigen oft dazu, dieses Verhalten einzuordnen – in Krankheitsbilder, Diagnosen oder in Kategorien wie „richtig“ und „falsch“. Doch es ist viel wichtiger zu erkennen, dass eine riesige Bandbreite an Verhaltensweisen völlig in Ordnung ist, selbst wenn sie unseren Ansichten manchmal widersprechen. Statt das Verhalten vorschnell zu bewerten, sollten wir genauer hinsehen und fragen: Was will das Kind? Was braucht es? Was versucht es uns zu zeigen? Indem wir diese Fragen stellen, können wir die Bedürfnisse hinter dem Verhalten besser verstehen und das Kind in seiner Einzigartigkeit wertschätzen.
Autismus ist keine Krankheit – und Auffälligkeiten sind oft normal
Autismus wird oft als Krankheit angesehen, aber das ist ein Missverständnis. Krankheiten sind in der Regel heilbar – Autismus jedoch ist Teil eines Spektrums menschlicher Vielfalt. Es gibt ein breites Spektrum von 0 bis 100%, und die Kinder die tatsächlich neurodivergent sind, bewegen sich irgendwo auf dieser Skala.
Die Aussage „nicht ganz autistisch, nicht ganz normal“ bezieht sich auf Kinder, die aus dem Raster fallen – Kinder, die Dinge anders machen, mehr fragen, mehr wollen. Diese Kinder entsprechen vielleicht nicht unseren Erwartungen, aber anstatt sie zu pathologisieren, sollten wir versuchen, eine neue Perspektive einzunehmen.
Eine neue Perspektive: Kinder, die wertvolle Impulse geben
Diese Kinder, die täglich unsere Routinen und Abläufe stören, sind wertvoll. Sie fordern uns heraus, indem sie Dinge anders tun und uns dazu bringen, alte Muster zu hinterfragen.
- Das Kind, das mutig den Ablauf stört: Es zeigt uns, dass es vielleicht auch andere Wege gibt.
- Das Kind, das unbeirrt die Beziehung testet: Für dieses Kind ist die Bindung zu seinen Mitmenschen das Wichtigste, und es hinterfragt ständig, ob diese sicher ist.
- Das Kind, das jeden Sachverhalt bis ins kleinste Detail verstehen will: Es mag anstrengend sein, doch es gibt uns Erwachsenen die Chance, auch mal wieder alles zu hinterfragen und dabei vielleicht sogar unseren Horizont zu erweitern.
Wie cool ist das bitte?
Im Alltag pragmatisch bleiben
Wenn du Elternteil oder Erzieher bist, dann beobachte das Kind. Wann wird es ihm zu viel? Welche Situationen sprengt es immer? Welches Verhalten fällt ihm schwer? Und hinterfrage als erstes deine eigenen Ansprüche dazu.
Muss man wirklich jeden mit Handschlag begrüßen? Muss sich ein Kind unbedingt entschuldigen? Muss es unbedingt vollständig angezogen sein, um am Essen teilzunehmen? Es lohnt sich, solche Erwartungen zu überdenken.
Und dann fängst du an, kleine, pragmatische Lösungen zu suchen. Vielleicht muss das Kind nicht jeden Tag perfekt funktionieren – vielleicht kann es sein, dass es mal mit anderen Regeln oder Freiheiten besser zurechtkommt.
Der Mut zur Veränderung
Ich feiere jeden Tag die Kinder, die den Mut und die Kraft haben, unser System durcheinander zu bringen. Sie erinnern uns daran, dass es nicht nur einen Weg gibt, Dinge zu tun. Wenn wir Erwachsenen uns darauf einlassen und versuchen, diese Kinder ernsthaft zu verstehen, eröffnen sich uns ganz neue Möglichkeiten.
Plötzlich wird aus der Wut über die Störung der Mut zur Veränderung. Diese Kinder laden uns dazu ein, unsere Welt anders zu sehen und mutig genug zu sein, sie mitzugestalten.